Kanalinspektion mit moderner Technik erledigt die Stadt jetzt selbst. Alfred Schmitt und Alexander Domschke – hier im Einsatz im Rabenweg – wurden dafür wie auch ihre Kollegen sorgfältig geschult.
Gießen (kw). Seit Tagen steht das Fahrzeug im Rabenweg, nur stückchenweise rückt es weiter. »Noch ein Stückchen weiter – hier wackelt es«, ruft ein Mann in neongelber Warnweste. Für die Mittelhessischen Wasserbetriebe (MWB) hat eine neue Ära begonnen: In Eigenregie überprüft der städtische Betrieb jetzt die Schmutz- und Regenwasserkanäle – sowohl die öffentlichen als auch die privaten. Möglich machen es zwei Hightech-Fahrzeuge mit bundesweit einmaliger Ausstattung. Die Anschaffung habe 850000 Euro gekostet – diese Investition lohne sich, betont MWB-Leiter Clemens Abel im GAZ-Gespräch.
Zwar hätten die allermeisten beauftragten Inspektionsfirmen gute Arbeit abgeliefert. Doch »wir waren mit den gesamten Prozessen nicht wirklich zufrieden«, so Abel. Der Aufwand sei hoch von der Ausschreibung über das Einweisen der Mitarbeiter bis zur Kontrolle. »Wenn sich zu Schluss herausstellt, dass die technischen Systeme des Unternehmens mit unseren doch nicht ganz so harmonieren wie versprochen, sind die Ergebnisse teuer nachzubearbeiten.« Er ist stolz auf seine Mitarbeiter, denn das pfiffige Fahrzeug- und Einsatzkonzept wurde »in der Mannschaft« entwickelt, allen voran vom zertifizierten Kanalsanierungsberater Till Roman Riedel. Auch Sachgebietsleiterin Daniela Hübl war mit der Beschaffung betraut, nachdem die Wirtschaftlichkeit unter anderem von der Betriebskommission akribisch geprüft worden sei.
»Effizienter geht’s nicht«, lautete das Ergebnis. Die Fahrzeuge erledigen viele Arbeitsschritte gleichzeitig – vom Spülen verstopfter Leitungen über Kamera-Inspektionen auch in dünneren Rohren bis zur Schadensdokumentation. Und das ohne Extrakosten und durch den Gully von der Straße aus – der Hausbesitzer hört höchstens ein Rumoren, Klopfen und Saugen, wenn unter seiner Bodenplatte gearbeitet wird.
Zur ausgeklügelten Ausstattung gehört eine Hockdruckspüleinheit, die »Lindauer Schere« – eine »abbiegefähige Farb-Dreh-Schwenkkopfkamera« – und ein Fräsroboter, der Wurzeln oder Stutzen einfach entfernen kann. »Die Zusammenstellung eines solchen Fahrzeuges ist bisher in Deutschland einmalig. Sie hat sich in Fachkreisen schnell herumgesprochen und inzwischen bei anderen Städten großes Interesse geweckt«, berichtet Abel stolz. Es sei nicht das erste Mal, dass eine Idee aus seinem innovativen Betrieb bundesweit Pioniercharakter hatte.
In den vergangenen zwei Jahren haben die MWB private Anschlüsse in der Weststadt kontrollieren lassen. Mit den nagelneuen Fahrzeugen sind sie nun zunächst im Anneröder Viertel und in Rödgen unterwegs. Bis zu zwei Stunden dauert es, sämtliche Verästelungen im Rohrsystem unter einem Einfamilienhaus abzufahren. Für die Überprüfung des ganzen Stadtgebiets rechnen die MWB 20 Jahre ein. Die Reihenfolge richte sich danach, wo es am häufigsten Schäden gibt, erklären Daniela Hübl und Till Riedel. Ob alles in Ordnung ist, erfährt der Hausbesitzer nach ein bis drei Wochen. Bisher waren in zwei Dritteln der Fälle Reparaturen nötig, deren Kosten sich aber im Rahmen hielten.
Wer Kanalproblemen vorbeugen will, dem raten die Fachleute vor allem eins: »Fett vermeiden!« Wer Frittieröl in den Ausguss kippt, riskiere Verstopfungen und zudem eine Rattenplage. Die Spartaste an der Toilette sei »auch nicht immer förderlich« – für die Kanäle sei mehr Spülwasser meist besser.
Die Wasserbetriebe beraten Bürger gern (Tel. 0641/306-1813). Im Internet findet man Informationen und ein Kanalinspektions-Video unter www.mwb-giessen.de (anklicken: Abwasser – Grundstücksentwässerung – Untersuchung der Zuleitungskanäle).
Schutz vor »Kanalhaien«
Grundstückseigentümer müssen ihre Entwässerungskanäle überprüfen lassen:
Das steht seit 2005 im Hessischen Wassergesetz. Wie das genau passieren soll, wurde wegen widerstreitender Interessen noch nicht in einerVerordnung festgelegt, erläutert Clemens Abel, Leiter der Mittelhessischen Wasserbetriebe. Um Laien vor der Abzocke durch unseriöse Anbieter zu schützen, habe sich Gießen für eine bürgerfreundliche Lösung entschieden.
Der städtische Eigenbetrieb kontrolliert in den kommenden Jahren nach und nach alle Rohre auf Privatgelände. Die Kosten der Erstuntersuchung sind in der Regel durch Abwassergebühren gedeckt, auch für eine erste Beratung bei Schäden. Die Kosten für weitere Befahrungen, eine Sanierung oder eine Abnahme trägt dann der Eigentümer des Grundstücks. Auf Wunsch geben dieWasserbetriebe die Reparatur in Auftrag. Das sei für die Bürger meist günstiger, weil mehrere Maßnahmen zugleich erledigt werden können.