Die umweltgerechte Entsorgung des Abwassers erfolgt über ein ganzheitliches Entwässerungssystem, bestehend aus den privaten Leitungen (Grundstücksentwässerung) und der öffentlichen Kanäle (Kanalisation).

In der Stadt Gießen beste­hen rund 12.300 Grund­stücke mit An­lagen zur Abwasser­ablei­tung, den sog. Grund­stücks­ent­wässerungs­anlagen (GEA). Diese sorgen für eine umweltgerechte Entsorgung der Abwässer des Hauses in die öffentliche Kanalisation und erzeugen somit ein ganzheitliches Entwässerungssystem.

Wie auch die öffent­lichen Kanäle sind diese den gesetz­lichen Anforde­rungen ent­spre­chend zu benut­zen und zu unter­hal­ten.


Weiterführende Informationen

Mit Inkrafttreten des Hessischen Wassergesetzes (HWG) im Dezember 2010 wurde den Kommunen die Aufgabe übertragen, den ordnungsgemäßen Bau und Betrieb der Grundstückskanäle sicherzustellen.

 

a) Warum müssen Grundstücksentwässerungsanlagen (GEA) ordnungsgemäß gebaut und betrieben werden?

Viele Grundstückseigentümer sind der Meinung, durch ihre GEA fließe nur sehr wenig Abwasser und wenn „ein paar Tropfen“ versickern, sei das nicht relevant. In Fachkreisen sieht man das anders. Ein technischer Exkurs:

Grundwasser fließt im Boden. Es fließt praktisch auf bzw. unter jedem Grundstück. Das Grundwasser speist unsere Brunnen, unsere Quellen und unsere Bäche und Flüsse. Die Qualität der Ressource „Wasser“ spielt nicht nur bei der Trinkwasseraufbereitung eine Rolle. Sie hat Einfluss auf unsere gesamte Nahrungskette. Wasser ist nach der Luft das Wichtigste, was wir zum Leben brauchen und muss geschützt werden.

Einer der wesentlichen möglichen Eintragspfade von Schmutz ins Grundwasser sind undichte Abwasserkanäle. Deren Relevanz nimmt durch die steigende Anzahl von Mikroschadstoffen im Abwasser (Haushaltschemikalien, Kosmetika und Medikamente aus Salben und aus menschlichen Ausscheidungen etc.) kontinuierlich zu. Deshalb hat der Gesetzgeber zum Schutz des Grundwassers schon früh strenge Regeln für die öffentliche Kanalisation erlassen (u.a. die Eigenkontrollverordnung, die bereits seit mehr als 20 Jahren diesen Bereich regelt). Allerdings betreffen diese Regeln nur ¼ der Gesamtkanalisation. Denn ¾ der Länge aller Kanalrohre sind nicht öffentliche, sondern private Grundstückskanäle. Sie liegen in der Fläche verteilt direkt neben der öffentlichen Kanalisation und sind oft in einem schlechten Zustand. In der Summe gelangen durch diese undichten privaten Kanäle, über große Flächen verteilt, beträchtliche Mengen Abwasser in den Boden. Will man die Wasserressourcen schützen, muss das überall geschehen, d.h. auf jedem einzelnen Grundstück. Die Verantwortung hierfür trägt der jeweilige Grundstückseigentümer.

Aufgrund der Wichtigkeit hat der Gesetzgeber die Gewässerverunreinigung (dazu zählt auch das Einleiten von Abwasser in das Grundwasser), genauso wie Bodenverunreinigung, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren belegt.

 

b) Was fordert das Hessische Wassergesetz (HWG)?

Konkret heißt es in §37 Abs. 2 Satz 1 des HWG:

„Die Abwasserbeseitigungspflichtigen1) haben den ordnungsgemäßen Bau und Betrieb der Zuleitungskanäle zum öffentlichen Kanal zu überwachen oder sich entsprechende Nachweise vorlegen zu lassen.“
1) im Regelfall tragen die Kommunen die Verantwortung für die Abwasserbeseitigung, d.h. sie sind abwasserbeseitigungspflichtig.

Satz 2 und 3 des Absatzes bestimmen etwas vereinfacht ausgedrückt, dass hierfür die für den ordnungsgemäßen Zustand der Zuleitungskanäle Verantwortlichen (das sind die Grundstücks­eigentümer) die Kosten zu tragen haben oder dass die Kosten in die Abwassergebühren eingerechnet werden dürfen.

 

c) Wie wird in Gießen mit den Forderungen des HWG verfahren?

Wie die Mammutaufgabe, die das HWG für die Kommunen formuliert, umgesetzt werden kann, wurde gemeinsam in Arbeitskreisen und Netzwerken mit vergleichbaren Städten eingehend diskutiert. Mögliche technische und finanzielle Optionen wurden auf Machbarkeit und Auswirkungen untersucht.

Die naheliegende und für die Kommunen einfachste Weise ihrer gesetzlichen Pflicht nach­zukommen, nämlich nur den Nachweis über die Ordnungsmäßigkeit zu fordern, wurde verworfen. Die Grundstückseigentümer hätten die Untersuchung, die Sanierung und den Nachweis vollständig in eigener Regie durchführen müssen. Das hätte die Grundstücks­eigentümer in den allermeisten Fällen fachlich überfordert. Auch finanziell wäre diese Option für die Grundstückseigentümer die schlechteste gewesen. Und nicht zuletzt hätte diese Verfahrensweise zu einem in vielen Fällen fragwürdigen Ergebnis geführt, da ohne Begleitung der Grundstückseigentümer vergleichbare Standards für alle kaum realisierbar sind.

Das Konzept, das in Gießen – wie auch in den anderen großen Kommunen – gilt, sieht im Wesentlichen vor,

  • die Untersuchungen der Grundstücksentwässerungsanlagen unter Beachtung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere dem Gleichbehandlungsgebot, durch die MWB selbst zu untersuchen,
  • die Grundstückseigentümer über das Ergebnis zu informieren und soweit gewünscht zu beraten,
  • in Falle von geschlossenen Sanierungsverfahren (Liner-Verfahren, hier ist spezielles Know-how erforderlich) den Grundstückseigentümern freizustellen, evtl. Sanierungen in eigener Regie (durch eigene Beauftragung von Fachfirmen etc.) durchzuführen oder die erforderlichen Sanierungsleistungen über die MWB zu beziehen. Für diejenigen, die auf die MWB zurückgreifen möchten, schreiben die MWB die Sanierungsleistungen auf der Basis von Jahresverträgen aus. Grundstückseigentümer können dann ent­sprechende Leistungen hiervon auf eigene Kosten abrufen. Dies ist i.d.R. deutlich günstiger als eine eigene separate Beauftragung einer Fachfirma. Weiterhin können Grundstückseigentümer die MWB mit der Bauüberwachung beauftragen. Hierfür zahlen die Beauftragenden eine Pauschale in etwa der Höhe des Selbstkostenpreises.
  • nach erfolgter Sanierung den GEKa_NET-Entwässerungspass auszustellen, der die Ordnungsmäßigkeit der GEA bescheinigt (Zu GEKa_NET siehe Abs. j).
  • die Leistungen der MWB, von Bauleitungsleistungen abgesehen, über die Gebühren zu finanzieren.

Dieses Konzept ist Teil der Abwassersatzung der Stadt Gießen.

 

d) Welche Bedeutung hat hierbei das Gleichheitsgebot?

Zwei der wichtigsten Grundsätze des Konzeptes, welche entscheidend für die Machbarkeit der Dienstleistung waren und sind, sehen vor,

  1. die Kanaluntersuchungen vom öffentlichen Anschlusskanal aus durchzuführen und
  2. auf eine Länge von 50 m zu beschränken.

Diese Einschränkungen sind erforderlich, weil die Untersuchungen der GEA aus Abwasser­gebühren finanziert werden. Die Leistungen, die Bürger für ihre Gebühren beziehen, müssen für alle vergleichbar sein (Gleichheitsgebot). Nun sind die Grundstücke und Entwässerungs­anlagen aber sehr unterschiedlich. Eine Untersuchung kann für eine kleine, intakte Grund­stücks­ent­wässerung innerhalb von ein oder zwei Stunden abgeschlossen sein. Für große und vor allem nicht ordnungsgemäße Anlagen kann die Untersuchung viele Tage in Anspruch nehmen und ggf. sogar Baukosten, die Grundstückseigentümer sich ersparen wollen, über­steigen. Derartige unterschiedliche Leistungen wären eine eklatante Ungleichbehandlung und sind rechtlich nicht zulässig. Ohne diese Regelung hätten beispielsweise auch große private Unternehmen das Recht, ihre ggf. viele hundert Meter umfassende vielleicht sogar marode Abwassernetze auf Kosten der Gebührenzahler untersuchen zu lassen.

 

e) Warum sind GEA-Untersuchungen vom Grundstück aus zu teuer?

Wie bereits erläutert sieht das Konzept vor, dass die Leistungen der MWB für die Grund­stückseigentümer kostenfrei sind und über die Abwassergebühr finanziert werden. Deshalb werden sehr hohe Ansprüche an die Wirtschaftlichkeit gestellt. Auch dies bedingt, dass die Untersuchungen nur vom öffentlichen Kanal aus gegen die Fließrichtung durchgeführt werden können. Nur so ist eine klar organisierte, zügige, systematische und entsprechend wirtschaft­liche Abarbeitung der Aufgabe möglich. Nur so kann die Untersuchung mittels hochmodernen Kamerasystemen mit bester Bildqualität, Verlaufsvermessung, mit gleichzeitiger Rohrreinigung, digital und automatisiert ohne teure manuelle Ergebnisaufbereitung erfolgen.

Will man von Revisionsschächten oder von sonstigen Öffnungen auf den Grundstücken aus inspizieren, sind einfache kleinere Geräte, z.B. Schiebekameras erforderlich. Dies ist mit sehr viel manueller Arbeit, insbesondere manueller Datenbearbeitung verbunden. Der hiermit ver­bundene erhebliche Mehraufwand ist aus Gründen der erforderlichen personellen Kapazitäten nicht möglich und es lassen sich die Kosten im Hinblick auf ihre Gebühren­relevanz nicht rechtfertigen. Darüber hinaus würde das Betreten der Grundstücke zu einem erheblichen organisatorischen Aufwand führen (gerade bei Bürgern, die Sanierungskosten fürchten), wodurch die Abwassergebühren unangemessen und unzulässig belastet werden würden.

 

f) Wie haben sich die MWB vorbereitet?

In einem über drei Jahre dauernden Prozess, haben die MWB die personellen, fachlichen und technischen Voraussetzungen geschaffen und eine neue Abteilung „Grundstücksentwässerung“ aufgebaut. Hierfür wurde u.a. neues Personal akquiriert und Mitarbeiter wurden technisch und rechtlich in Fortbildungsprogrammen mit Abschlussprüfung und Zertifikat weitergebildet. Zudem wurden umfangreiche Softwaresysteme für eine weitgehend automatisierte Bearbeitung sowie modernste Kamerasysteme angeschafft. Dies erfolgte auf Basis von in Gießen durch­geführten Vergleichstests der besten europaweit verfügbaren Kameras. Die angeschafften Geräte und die Elektronik werden seitdem durch regelmäßige Updates sowie durch Nachrüstung verfügbarer technischer Verbesserungen auf dem neusten Stand gehalten.

 

g) Was ist das Ziel der Untersuchungen?

Ziel der Untersuchungen ist die Feststellung der Dichtheit des Kanals. Die im Konzept fest­gelegten Ansprüche an den Kanalzustand entsprechen üblichen Mindeststandards. Da das Abwasser im Kanal nicht unter Druck abgeführt wird, wird auf eine Druckprüfung verzichtet. Die wesentliche Forderung ist, dass nach dem Augenschein Abwasser nicht austreten kann. Daneben gelten selbstverständlich die Vor­schriften der einschlägigen Normen und Richtlinien, über die sich die Mitarbeiter der MWB nicht hinwegsetzen dürfen.

 

h) Wurde das Konzept bereits angewendet?

Das Konzept der MWB erwies sich inzwischen in drei Gebieten der Stadt Gießen (Weststadt, Anneröder Viertel, Ostpreußen Viertel) als zielführend und erfolgreich. Das Problem, dass Grund­stückskanäle nicht untersucht werden konnten, beschränkte sich auf wenige Fälle, im Wesentlichen auf Kanäle mit Schäden wie abgerissene oder zusammen­gebrochene Rohre etc.

 

i) Wie sind die Forderungen der MWB begründet?

Bei den Untersuchungen der Grundstückentwässerungsanlagen handelt es sich um eine komplexe gesetzliche Pflichtaufgabe, die dem Wasser- und Bodenschutz zuzuordnen ist. Verstöße hiergegen, sei es durch Grundstückseigentümer oder durch Mitarbeiter der MWB, fallen ggf. unter das Strafgesetz. Die Leistungen der MWB wurden daher sehr sorgfältig vorbereitet. Die Mitarbeiter sind alle in Fortbildungen des Fachverbands (DWA) ausgebildet worden und vertreten Anforderungen nach dem Stand der Technik. Außer aus den einschlägigen Gesetzen ergeben sich diese aus DIN-/EN-Normen sowie Richtlinien der Fachverbände. Die MWB sind weiterhin an einer hessenweiten einheitlichen Umsetzung der Aufgaben interessiert und deshalb auch aktives Mitglied im GEKa_NET, einem Zusammenschluss von kommunalen Betreibern von Abwasseranlagen (siehe Abs. j). Auch hier wurden bzw. werden Ziele und Standards erarbeitet und fixiert.

Die angeführten Vorgaben sind für die MWB bindend. Ihre Mitarbeiter dürfen sich nicht darüber hinwegsetzen. Soweit Ermessensspielräume bestehen, werden diese im Sinne der Bürger ausgelegt. Im Übrigen verstehen die MWB-Mitarbeiter ihre Aufgabe als Dienst für die Bürger. Gründe über das Maß der Vorschriften hinauszugehen, gibt es keine.

 

j) Welche Rolle spielt das GEKa_NET in Bezug auf die einheitliche Umsetzung der Aufgabe nach §37 HWG? (Erläuterung auf Basis von Auszügen der DWA-Homepage https://www.dwa-hrps.de/de/mehr-info-gekanet.html)

Aufgrund der rechtlichen Vorgaben im Hinblick auf Zuleitungskanäle (Grundstücksent­wässerung­sanlagen und Hausanschlüsse) schlossen sich ab 2010 kommunale Betreiber von Abwasseranlagen zusammen. Innerhalb dieses Netzwerkes werden die Erfahrungen für die Überwachung und Durchführung von Dichtheitsprüfungen sowie zur Sanierung der Grund­stücksentwässerung ausgetauscht, diskutiert und erarbeitete Lösungen umgesetzt. Ziel ist ein umfassender Informations- und Erfahrungsaustausch sowie die Erarbeitung landesverbands­weit1) gültiger Standards in Anlehnung an die anerkannten Regeln der Technik für den Bereich Grundstücksentwässerung. Das Netzwerk erarbeitet technische, wirtschaftliche und vergabe­rechtliche Lösungsmöglichkeiten und Standards, beteiligt sich durch Informationen und Anregungen bei den Genehmigungs- und Fachbehörden an der Aufstellung und dem Vollzug von Regelungen und bietet Wissenstransfer zur Unterstützung des fachlichen Austausches und der gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit. GEKa_NET knüpft und pflegt darüber hinaus Kontakte zu vergleichbaren Organisationen und Netzwerken, den kommunalen Spitzenverbänden sowie zu anderen Fachverbänden und Institutionen, um gemeinsam und fachkompetent den Einfluss zu erhöhen. Ein erstes wichtiges Ziel ist die Erarbeitung eines landesverbandsweit einheitlichen Entwässerungspasses für die Eigentümer zur Dokumentation ihrer Grundstücks­entwässerung, um dem Bürger, unabhängig vom Wohnort, gleiche Verhältnisse und Gleich­behandlung zusichern zu können.
1) Bezug: Landesverband der DWA

 

Stand der Information: Oktober 2022

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