Das 450 000 Euro teure Kanalinspektionsfahrzeug der MWB bei einem Einsatz in der Anneröder Siedlung. (Archivfoto: Schepp)
Nach der nervenaufreibenden Bürgerversammlung mit 200 Anwohnern aus der Anneröder Siedlung am vergangenen Donnerstag hatten MWB-Werkleiter Clemens Abel, Kanalsanierungsberaterin Daniela Muhly und Bürgermeisterin Gerda Weigel-Greilich am Mittwoch schon wieder gut lachen. Denn die Mittelhessischen Wasserbetriebe hatten das Privileg, in der Weststadt den bundesweit ersten landeseinheitlichen Entwässerungspass übergeben zu dürfen. Er wurde von Christian Lins vom Technischen Kundenservice der Wohnbau für den Wohnblock Hardtallee 5 entgegengenommen. Dort waren die Hauskanäle unlängst saniert worden. »Wir haben 800 Liegenschaften, deren Zustand wir im Auge behalten müssen«, sagte Lins bei der Übergabe.
Die Wasserbetriebe stellen zwar seit 2014 für Hauseigentümer bereits den Gießener Entwässerungspass aus, gehören als städtischer Eigenbetrieb aber auch zum GEka_Net, einem Netzwerk der Betreiber kommunaler Abwasseranlagen aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Für das Netzwerk und die drei Bundesländer haben die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und der Verein Güteschutz Grundstücksentwässerung nun einen einheitlichen Entwässerungspass aufgelegt. »Wir haben damit einheitliche Kriterien bei der Bewertung einer Entwässerungsanlage«, erklärte DWA-Vertreter Roland Weisz. Es sei der erste landeseinheitliche Pass, der in Deutschland übergeben werde. Weisz: »Unser Ziel ist ein bundeseinheitlicher Pass.«
Für den Hauseigentümer habe der kostenlose Pass den Vorteil, dass ihm die Erfüllung gesetzlicher Anforderungen bescheinigt werde, dass seine Immobilie durch intakte Kanäle aufgewertet werde, er einen Beitrag zum aktiven Umweltschutz leiste und die Bewertung auf der Grundlage einheitlicher Kriterien erfolgt sei, hieß es. Dass sich der Prozess bis zur Ausstellung eines Entwässerungspasses schwierig gestalten kann, diese Erfahrung haben die MWB zuletzt in der Anneröder Siedlung gemacht. Dort waren sehr viele Hauseigentümer, nachdem das 450 000 Euro Inspektionsfahrzeug die Hauskanäle durchleuchtet hatte, aufgefordert worden, schadhafte oder falsch angeschlossene Kanäle zu sanieren. Da dies mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein kann, reagierten etliche Eigentümer verärgert auf die Kontrollen, die die MWB seit zwei Jahren mit zwei Spezialfahrzeugen in Eigenregie durchführen. »Man muss viel Überzeugungsarbeit leisten«, sagte Sanierungsberaterin Muhly. Mittlerweile sei man in der Anneröder Siedlung durch, nun sei der Kamerawagen im Ostpreußenviertel unterwegs. Für die Gesamtstadt rechnen die MWB mit einer Untersuchungs- und Sanierungsdauer von 20 Jahren. Die rechtliche Grundlage für die Kontrollen ist das Hessische Wassergesetz von 2010, mit dem den Kommunen aufgetragen wurde, die Zuleitungskanäle zu ihrem Netz auf Schäden zu untersuchen.
Bürger »zahlen so oder so«
Die Bedeutung des Abwassersystems für die Infrastruktur und die Umwelt werde leider oft noch unterschätzt, sagte Dirk Bellinghausen, Geschäftsführer des Vereins Güteschutz Grundstücksentwässerung. Allein das öffentliche Netz sei fast 700 Milliarden Euro wert. MWB-Werkleiter Abel sprach von einem »Schatz im Untergrund, den wir gut behandeln müssen«. Alles gut und schön, aber in der Anneröder Siedlung warten sie im Moment eher auf die Beantwortung der Frage, die ein Anwohner bei der Versammlung im Wiesecker Bürgerhaus aufgeworfen hatte. Er wollte nämlich wissen, ob die Anwohner auch für Schäden in jenem Abschnitt des Zuleitungskanals aufkommen müssen, der den Hauseigentümern 2013 nach einer Änderung der städtischen Abwassersatzung von der Stadt übertragen worden war. Das Rechtsamt prüfe dies noch, sagte Bürgermeisterin Weigel-Greilich und fügte hinzu: »Zahlen müssen es die Bürger so oder so: Entweder direkt aus eigenen Mitteln, mit ihrem Steuergeld aus dem Stadthaushalt oder mit den Abwassergebühren.«
(Gießener Allgemeine Zeitung, 8. November 2017)